GASTSPLITTER
Was Menschen bewegt
Mitten in Tokyo befindet sich die wohl berühmteste Strassenkreuzung der Welt, die Shibuya-Kreuzung. In meinen Ferien hatte ich die Gelegenheit, diese für einen Moment beobachten zu dürfen. Sobald sämtliche Fussgängerampeln auf Grün springen, scheint die Zeit für wenige Sekunden stillzustehen, während ein Strom aus Körpern und Schritten das Bild füllt. Wer sich für einen Moment an den Rand der Kreuzung stellt und das Treiben beobachtet, spürt die Energie des Ortes. Die Bewegung der Menschen folgt keinem festen Plan und scheint dennoch harmonisch. Jede Person ist Teil einer größeren Choreografie, und doch hat jede ihre eigene Geschichte. Wenn Tausende gleichzeitig die Straßen überqueren, entsteht eine Choreografie des Zufalls, die verdeutlicht, wie eng menschliche Leben miteinander verflochten sind. Die Kreuzung wird so zum Mikrokosmos der Gesellschaft: Alle sind Teil eines großen Ganzen, beeinflussen sich gegenseitig, auch wenn sie es nicht wahrnehmen.
Manche eilen mit ernster Miene und schnellen Schritten voran, andere schlendern, bleiben stehen, fotografieren, lachen, träumen. In wenigen Sekunden kreuzen sich ihre Wege – vielleicht das einzige Mal für immer. Was bleibt, ist die Ahnung, dass jeder Mensch von eigenen Hoffnungen, Sorgen und Wünschen getrieben wird. Die Ordnung im scheinbaren Chaos der Kreuzung ruft in mir das Bild von Gemeinschaft und göttlicher Führung wach: Die vielschichtige Bewegung auf der Kreuzung erinnert mich an das Bild der Wege, die in biblischen Texten symbolisch für Lebensentscheidungen stehen. Menschen suchen ihren eigenen Weg („Gott, lehre mich deinen Weg“), doch letztlich führen alle Wege immer wieder zusammen, kreuzen sich und beeinflussen sich gegenseitig. So treten auch wir täglich hinaus ins Leben, begegnen anderen, kreuzen ihre Wege und hinterlassen Spuren, oft leise und ungeplant, doch stets Teil eines grösseren Ganzen. Ich finde das faszinierend und möchte dich ermutigen, die Sinne zu öffnen und gespannt darauf zu sein, wie in Zukunft deine Kreuzungen verlaufen werden.
Autor: Irene Gantert, Ehrenamtliche und kreative Kraft
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Datum: 18.09.2025